Alter wird elektronikmessefähig

Der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Printausgabe 03/09 über die amerikanische Elektronikmesse CES in Las Vegas. Neben dem Trend zu Touchscreens auch im stationären Bereich zeigt die Industrie eine ganze Reihe neuer Produkte für die „Silbersurfer“. Auch in Amerika bilden sie mittlerweile 20% der Gesamtbevölkerung, besitzen aber 40% des Volksvermögens. Der ältere Nutzer ist als Zielgrupper erkannt, unter der Leitidee „get less“ (weniger Knöpfchen und Tiefenmenüoptionen) umworben un in den Marketingfokus gebracht. Was nach Ansicht des SPIEGEL-Redakteurs noch fehlt, ist das coole Moment: die Produkte sind funktional, aber noch unsexy. Mal sehen, wann die Apple-Ästheten sich gezielt dieses Themas annehmen.

Und noch ein Blatt mehr

Wie schön: wieder eine neue Zeitschrift mehr, die die Angebotsvielfalt für älterer Leser angenehm erweitert! „TENGO – Lust auf später“ hält, was der originelle Titel verspricht: ein bunter Kessel Themen- und Meinungsvielfalt, liebevoll bebildert und modern layoutet. Also kein Blatt für´s Nähstübchen. Nach einigen aktuellen Häppchen – oft auch durch Promi-Befragung angereichert – geht es inhaltlich u.a. um Altersteilzeit, Sex, Nervkram, Flow und eine BILD-Sichtung. Der Themen-Reigen macht deutlich, dass hier kein feinsinnig gegliedertes Marketingjournal möglichst viele Werbeseiten unterzubringen versucht, sondern dass man dem eigenen Anspruch durchaus gerecht wird, „ein Autorenheft, das keine Ratschläge erteilt, sondern einer mündigen Leserschaft gedankliche Angebote macht, die sich mit der Freiheit verbinden, sie weiterzudenken oder zu verwerfen…“.

Herausgeber ist der PARITÄTISCHE Gesamtverband. Mutig für eine Sozialinstitution, erfreulich, dass damit wohl nicht ganz kurzfristig über das Bleiben oder Gehen vom Zeitschriftenmarkt entschieden werden wird. Ein Manko: TENGO erscheint nur zweimal pro Jahr und ist auch in den größeren Kiosken nur drei Monate nach Erscheinen gegen 6,50 Euro zu erwerben. Es gibt auch einen – leider noch etwas bieder geratenen – Online-Ableger, bei dem man die Printausgabe direkt beim Verlag ordern kann. Lassen Sie sich aber nicht verdriessen, die Analogausgabe hat durchaus das Potential zum Lieblingsjournal – wenn sie denn öfter erschiene.

Neue Zielgruppenzeitschrift

Frisch auf dem Markt ist jetzt „invivo“. Eine weitere Zeitschrift, die es gezielt auf die Leserschaft der 50 bis 65-Jährigen abgesehen hat. Erstaunlich an dem Projekt ist, dass sich das Magazin zunächst rein aus der Webung finanziert. Ledglich 20.000 der angegebenen Auflage von 100.000 wird an Bahnhofs- oder Flughafenkiosken für 6 € verkauft. Der Rest geht als Schnupperabonnement direkt an Interessierte. Ist das waghalsig? Interesant scheint mir, dass die Werbewirtschaft offensichtlich einen Paradigmenwechsel vollzieht: bislang galt das Alterssegment der 14- bis 49-Jährigen als einzige Zielgruppe. Jenseits der 50 herrschte werbliches Brachland – wenn man von ein paar Gehhilfen, Bandagen und Treppenliften absah. Und jetzt finanziert die Werbng ein ganzes Zeitungsprojekt. „Da brate mir einer einen Storch!“ könnte man dazu sagen. Oder mit Befriedigung feststellen, dass die trendsetzende Werbewirtschaft der Generation 50+ den Ritterschlag als satisfaktionsfähige Zielgruppe erteilt hat.

Im Focus der Öffentlichkeit

Tchibo hat unter dem Motto „Jede Woche eine neue Welt“ das neue Jahr mit einem Generalblick auf vieles, was das Leben im Alter leichter und angenehmer macht, eröffnet. Nun finden sich in den Schaufenstern klappbare Duschhocker, Trolleywagen so wie Treppenlifte und Hüftbandagen. All diese kleinen und großen Helferlein waren bislang nur clandestin beim Arzt oder in verschrobenen Sanitätshäusern, Vitalcentern oder abgelegenen Orthopädiestützpunkten erwerbbar. Nun liegt die Unterstützung in tausenden von Discounterauslagen und erzählt aufs Bildhafteste die Geschichte einer älter werdenden Gesellschaft. Danke Tchibo! Jetzt wird vielen bewusst werden, dass der Wandel vom Jugend- zum Altenkult längst begonnen hat.

Alt? Wie fühlt sich das an?

Ob Gebrauchsanweisungen oder Tastaturen von technischen Geräten: allzuoft hat man das Gefühl, dass ältere Nutzer bei der Produktentwicklung überhaupt nicht im Focus stehen. Ganz aktuell freue ich mich einerseits über unsere neue Heizung, die eine weitaus höhere Energieeffizienz aufweist als ihre Vorgängerin. Aber um etwas einzustellen, muss ich mit dem Vergrößerungsglas in den Keller. Lästig! Und es muss nicht sein: unter der – blöderweise wieder englischen – Adresse https://age-explorer.de findet man Hinweise, wie sich Produktentwickler spezielle Helme und Anzüge anpassen lassen könnten, um mit diesen die potentiellen Einschränkungen des älteren Konsumenten nachzuempfinden. Würden alle Entwicklungsabteilungen dies Angebot nutzen, wäre die Welt auch für die Alten deutlich „bedienungsfreundlicher“.

Umdenken geht

Auch in der Industrie zeigen sich die ersten Lichter: Die Seifenfirma Dove will für die Einführung der neuen Produktserie „pro-age“ (eben nicht das dämliche „anti-age“) auf „Models“ jenseits der 50 und 60 bauen. Auch in Fernsehspots. Älterwerden soll nicht länger als negative Entwicklung wahrgenommen werden. „Besonders Frauen ab 50 sollen dazu inspiriert werden, sich schön zu fühlen.“
Wenn man bedenkt, dass der Jugendwahn sich maßgeblich den Ambitionen der Werbeindustrie verdankt, kann es einen nur optimistisch stimmen, wenn die Werber nun auch ältere Menschen zu Modellcharacteren erheben.

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