Max Frisch hat sich in seinem „Berliner Journal“ (Suhrkamp, Berlin 2014, – hier S.88) nicht nur informativ über die ostdeutsche Kulturszene ausgelassen, sondern auch eine ganze Menge Introspektion betrieben. So hadert er auch mit seinem Erinnerungsvermögen – und dies sehr wortgewandt und unter Anwendung einer  persönlichen Grammatik:

Buchdeckel

Vorallem nachlassen des Kurzzeitgedächtnisses. Die permanente Unsicherheit infolgedessen; ich habe neulich oder sogar gestern etwas gelesen, das Gespräch kommt darauf, und es fehlen mir Daten, Namen, etc.,. sogar die Erinnerung an meinem Gedanken dazu; ich weiss im Augenblick nur, dass ich es gelesen habe. Die Angst auch, dass man, was man im Augenblick sagen möchte, früher schon gesagt hat. Oder die anderen sagen: neulich haben Sie gesagt. Und ich kann mich nicht daran erinnern; ich habe es zu glauben, auch wenn es eine Unterstellung ist, mein Gedächtnis kann es weder bestätigen noch widerlegen. Mein Gedächtnis kann nicht verbürgen; man wird sich selber unglaubwürdig, und tut besser daran, zu schweigen. Nachher weiss ich aber nicht einmal, was ich verschwiegen habe; es entfällt mir noch leichter als das Gehörte, das Geschaute. Übrigens hält sich das Geschaute (ein Strassenbild, die Einrichtung einer Wohnung, die Landaschaft) besser im Gedächtnis als das Gedachte, das sich oft schon von einem Satz zum nächsten verliert. Man weiss nicht, was man hat sagen wollen. Das tritt immer häufiger ein.

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