23.07.2024 | Allgemein, Alter, Philosophie, Tod, Zukunft
Was Seneca uns zum Altern zu sagen hat.
Ein Großteil der aktuellen Diskussion um das Älterwerden beschäftigt sich mit dem Hinauszögern von Hinfälligkeit und Tod. Lebensverängerung ist gefragt. Lustigkeit wie in den frühen Jahren gilt als ein zentraler Beschäftigungswunsch für die späten Jahre. Da ja nun jeder (zumindest in einigen Gebieten) seines Alters Schmied ist, könnte Senecas gänzlich andere Auffassung über den letzten Lebensabschnitt für „Abweichler“ von der gängigen Wir-wollen-immer-hübsch-und-jung-bleiben-Haltung anregend sein.
Seneca im Halbportrait (Antikensammlung Berlin)
So schreibt er in seinem 12. Brief an seinen jüngeren Freund Lucilius:
„Jedes Vergnügen hebt seine größten Freuden bis zum Schluss auf. Die Zeit des Lebens, die das größte Vergnügen bietet, ist das Alter, in dem die Abwärtsbewegung – nicht der steile Abstieg – bereits begonnen hat; und meiner Meinung nach hat auch das Alter, das an der Schwelle des Todes steht, seine eigenen Freuden – oder die Tatsache, sich nicht mehr nach irgendwelchen Vergnügungen zu sehnen, tritt an deren Stelle. Wie schön ist es, wenn man seine Begierden überwunden und hinter sich gelassen hat!“
Diese Zeilen finden sich auf S. 71 in in dem Buch Seneca – Briefe an Lucilius, erschienen im Finanzbuchverlag München 2023
17.05.2024 | Allgemein, Alter, Arbeitswelt, Humor, Literatur, Philosophie, Tod
…oder aus ihrem Zitatenschatz: „Die Kunst besteht darin, jung zu sterben, das aber so spät wie möglich.“ (Reinhard Wandtner).
Vielleicht ist auch dies Zitat, das in leicht verwandelter Form seit jeher das Leitmotiv dieses Blogs bildet, der Grund für die folgende, etwas überschwängliche Rezension…
Schon auf dem Titelbild zeigt sich: es geht hier um die Fülle des Lebens. Das Alter ist für die Autorin kein grauer Wartesaal, in dem man ergeben verweilt, bis Charon einen mit seinem Boot ins Reich der Toten übersetzt.
Zwischen Schlangen und Blumen: das Altern
Das Alter ist auch nicht nur eine Zeit der Erinnerungsübungen an das süße Früher. Nein, Elke Heidenreich schreibt eine Art Bilanz, ungeschönt, getrieben vom Drang, sich nochmal darüber klar zu werden, was es war, das eigene Leben. Und was es für die nächste Zeit sein könnte. Klar, dass Sie als erfolgreiche Autorin und Kritikerin ihr Leben nicht ohne Unterstützung der Literatur befragt.
Hilfe, starke Hilfe findet sie bei den Autoren/innen, die sich heutzutage, in zurückliegenden Jahrzehnten oder vor 2000 Jahren mit Altern und Tod beschäftigt haben. Natalia Ginzburg, Truman Capote, Marguerite Duras, Cicero, Goethe usw. So kommen wir in den Genuss, quasi nebenbei zu erfahren, was große Denker und Schreiberinnen über Alter und Tod dachten (Die Reihe der Zitierten ist erheblich länger als oben angedeutet). Neben Heidenreichs eigenen Gedanken lesen wir auch Dialoge zwischen ihr und den vielen klugen Bewohnern ihrer Bücherwände. Mal mit Zustimmung, mal mit Widerrede, mal mit „kann man so sehen.“
Schon nach wenigen Seiten kann man festhalten:
- Sie betrachtet das Alter nicht als zu versteckende Lebensetappe, sondern als einen Abschnitt mit Vor- und Nachteilen unter den anderen, die unser Leben zu einem Ganzen fügen. Allerdings überwiegen für sie im Alter die Vorteile.
- Sie hält vom momentanen Selbstoptimierungswahn genauso wenig wie von den Ich-kann-mit-meinem-Alter-nicht-umgehen-Leuten. Diese sind hier ihr Lieblingsfeindbild.
Ob Botox-Adepten oder Ernährungsasketen: alle bekommen in diesem Buch auf höchst amüsante Weise den Marsch geblasen. Das geht dann bei ihr so: „Ich finde die alten, ja: die vom Leben verwüsteten Gesichter von Jeanne Moreau oder Louise Bourgeois wunderschön, sie erzählen von prall gefülltem Leben sehr viel mehr als die Gesichter von Frauen mit prall gefüllten Botoxwangen.“
So wunderbar treffende (auch bösartige) Formulierungen finden sich alle paar Seiten, so über den gealterten Popstar Madonna Louise Ciccone: „Madonna zum Beispiel sieht jetzt aus wie irgendwas an Halloween!“ Auch Kim Kardashian und die Geissens, aus dem Privat-TV, bekommen ihr Fett weg.
Natürlich gibt es dann auch Belege gegen den herrschenden Selbstoptimierungswahn. So zitiert die Autorin Keith Richards (Rolling Stones) mit den Worten: „Ein Mittag- oder Abendessen ohne ein Glas Wein ist lächerlich.“ Und nickt zufrieden dazu: „Sag ich doch.“
Ihre Dynamik ist wohl dafür verantwortlich, dass das Leben ihr jüngere Partner und jüngere Freundinnen an die Seite stellt. 80 Jahre ist sie laut Pass. Aber wie HIER beschrieben, kann das subjektive Alter abweichen. Elke Heidenreich erscheint entschieden jünger. Ihrer eigenen Wahrnehmung nach sogar glatte 20 Jahre. Als Zuschauer ihrer SPIEGEL-Buchrezensionen oder als Leser hat man den Eindruck: sie hat vielleicht recht.
Vorteile hin, Vorteile her, Heidenreich betreibt keine Heroisierung des Alters. Sie verhandelt Liebeskummer, Altersdiskriminierung und teilweise Verzweiflung an der Digitalisierung von fast allem; hier der Unmöglichkeit eine Museumskarte ohne Handy zu ergattern. Womit sie jedoch gar nichts anzufangen weiß, ist den letzte Lebensabschnitt auf der Parkbank oder dem Ruhekissen zu verbringen. Jenen, die nach Einstieg in Rente und Pension vom Nichtstun träumen, hält sie entgegen: „Nichtstun macht nur Sinn als Gegensatz von Tun. Wenn ich nichts mehr tue, wozu bin ich dann noch da?“ Hier kann man einwerfen, dass nicht alle mit einem so befriedigenden Job wie den einer erfolgreichen Schriftstellerin gesegnet sind. Aber man könnte sich ja auch jetzt – nach dem Ende der Lohnarbeitszeit – einer neuen, einen mehr begeisternden Aufgabe widmen. Ich glaube, zu diesem Gedanken würde die Autorin durchaus gnädig nicken.
In Summe zeigt sich Elke Heidenreich in diesem Buch als großartige Mutmacherin. Sie ist 80 Jahre. Sie weiß, wovon sie spricht, aber sie schreibt im Geiste Martin Luthers (den sie nicht zitiert), der gesagt haben soll: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“.
Gerade in unserer nölig-miesepetrigen Zeit kann man ihre folgenden Zeilen als Aufruf lesen, sich mal ein bisschen zusammenzureißen: „In einem Land zu leben, das fast während meines gesamten Lebens vom Krieg verschont war, auch das ist Glück. Ein großes, das größte Glück.“
Sollte Elke Heidenreich an den Punkt gelangen, über ihre eigene Grabsteinaufschrift nachzudenken, könnte sie sich bei Henry Beyle, alias Stendhal, bedienen: visse, scrisse, amasse; also: ich lebte, ich liebte, ich schrieb. Es würde zu ihr passen.
Ich verspreche Ihnen: die Lektüre dieses Buches wird Sie bereichern. Sie werden sich weitere Werke leihen oder kaufen, die sich auf den Bücherregalen von Elke Heidenreich finden. Ich bin mir dessen sicher!
Elke Heidenreich: Altern
Hanser Berlin, 2024
20,00 €
Nachdem das Buch ein großer Erfolg beschieden ist, äussert sie sich auch in einem Interview zum Thema:
26.02.2024 | Allgemein, Humor, Literatur, Philosophie
Manche Zitate sind kondensierte Lebensweisheit. Andere regen zum Nachdenken über sich selbst und die eigene Lebensführung an.
Was halten Sie von diesem:
„Alte haben gewöhnlich vergessen, dass sie jung gewesen sind,
oder sie vergessen, dass sie alt sind,
und Junge begreifen nie, dass sie alt werden können.“
Kurt Tucholsky
10.02.2024 | Allgemein, Gesellschaft, Gesundheit, Kunst, Literatur, Philosophie, Seniorenheim, Sterben, Tod, Umzug, Wohnen
Monika Maron hat ein Buch mit dem Titel „Das Haus“ geschrieben. Auf dem Titelblatt steht: Roman. Ich habe es eher als Elegie des Alterns gelesen. Eine Story mit Höhepunkten und unerwarteten Kippmomenten – also romanhafte Inhalte – sind nicht zu finden. Das spricht nicht gegen das Werk.
Durch eine Erbschaft kommt eine Berlinerin in den Besitz eines großen Landhauses im Brandenburgischen. Die Dorfbevölkerung des fiktionalen Ortes Bossin spricht gar von einem Schloss. Hier findet sich bald eine Gemeinschaft von engen und nicht so engen Freundinnen und Freunden/Partnern aus Berlin zusammen, um…, ja um was? Der brausenden Großstadt zu entfliehen? Die missliche Wohnsituation in Berlin durch ein gediegenes Heim in der Provinz zu ersetzen? Die Anfälle von Einsamkeit durch ein nahes, aber nicht zu nahes Miteinander mit Freunden und Bekannten zu ersetzen? Diese und andere Motivationslagen führen zur Gründung der Alten-WG. Man raucht, kocht, isst, geht Spazieren und redet miteinander. Die Fragen, wie lange man es in dieser sich durch nichts auszeichnenden Landschaft aushält oder ob und wie man mit der fast gänzlich anonym bleibenden Dorfgemeinschaft verkehrt, treten bald in den Hintergrund. Monika Maron zeigt die Akteure mit all dem Ballast, den sie aus ihrem bislang gelebten Leben mit nach Bossin mitbringen: Hadern mit vermeintlich oder wirklich falschen Lebensentscheidungen, Konsequenzen aus früheren Bindungen, die schwebende Frage, ob es vielleicht der letzte Umzug im Leben gewesen sein könnte und die Angst vor dem womöglich nahen Ende. Diese Fragen und Dialoge um Krankheit, verlorene Energien und Versuche – trotz allem -, auch diesem Lebensabschnitt noch etwas Versöhnliches abzugewinnen, prägen den Moll-Ton der Gespräche. Darüber liegt eine Schicht des üblichen Klein-Kleins, das das Zusammenleben unterschiedlicher Charaktere in einem Haus – altersunabhängig – beschäftigt: Wo darf man rauchen? Darf ein Hund ins Haus? Sind private Feste mit Anwesenheit der auswärtigen Restfamilie statthaft? Muss man sich abmelden, wenn man nach Berlin fährt? Banal? Ja, so banal wie das Leben in weiten Bereichen eben auch.
Falls Sie mit dem Gedanken einer Alten-WG auf dem Land spielen – dort könnte man es sich ja tatsächlich noch leisten -, schauen Sie zuvor in Monika Marons Handreichung.
Das Reh spielt nur eine Nebenrolle
Monika Maron: Das Haus
Hoffmann und Campe Verlag
Hamburg 2023
235 Seiten, 25 €
19.01.2021 | Allgemein, Forschung, Gesundheit, Kommunikation, Philosophie, Politik, Psychologie, Wissenschaft
Ein Blick und viele Fragen Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
Wir kennen das: jede Fakultät hat ein paar nette oder auch wertvolle Tipps zur Hand, wie man mit dem Altern besser fertig werden kann. Sozialbeziehungen, gesundes Essen, Bewegung. Tausenmal gehört – na ja, manches wird ja auch berücksichtigt. Aber oft genug greifen die verschiedenen Tipps nicht ineinander, sondern stehen sich gegenseitig im Weg. Denken Sie nur an den Besuch von zwei Fachärzten. Im Alter wird dieser selten ohne neue Medikamentierungstipps vonstattengehen. Aber ob diese Medikamente tatsächlich friktionsfrei miteinander kombinierbar sind? Im glücklichen Fall wird sich die Apothekerin der Sache annehmen – wenn man sie darum bittet. Aber oft genug – auch immer noch in Seniorenheimen – wird alles geschluckt.: oft werden dadurch aus zwei Problemstellen drei. Die Medikamene lösen im unbedachten Miteinander Streß im ohnehin geschwächten Immunsystem aus. Die Akteure im Forschungsfeld Altern sprechen bislang auch nur selten miteinander. Interdisziplinarität ist eine schwierige Sache. Jeder muss was von seinem Kuchen abgeben und sich mit Neuem beschäftigen. Dabei ist nun gerade das Altern – nicht nur der körperliche Alterungsprozess – ein Feld für viele Fakultäten. In Hallean der Saale hat man dies nun auch für sich entdeckt. Dort wurde das Interdisziplinäre Zentrum für Altern (Halle) – IZAH – gegründet. Die Medizin scheint zwar – nach der Zahl der Beteiligten zu urteilen – die Oberhand zu behalten. Aber eine ganze Reihe anderer Fakultäten ist tatsächlich auch beteiligt. Von großen Erkenntniserfolgen ist noch nichts zu lesen, aber das mag ja noch kommen. Das Altern gibt allemal genügend Rätsel auf, um interdisziplinären Forschergruppen genügend Material an die Hand zu geben.