Was Seneca uns zum Altern zu sagen hat.
Ein Großteil der aktuellen Diskussion um das Älterwerden beschäftigt sich mit dem Hinauszögern von Hinfälligkeit und Tod. Lebensverängerung ist gefragt. Lustigkeit wie in den frühen Jahren gilt als ein zentraler Beschäftigungswunsch für die späten Jahre. Da ja nun jeder (zumindest in einigen Gebieten) seines Alters Schmied ist, könnte Senecas gänzlich andere Auffassung über den letzten Lebensabschnitt für „Abweichler“ von der gängigen Wir-wollen-immer-hübsch-und-jung-bleiben-Haltung anregend sein.
So schreibt er in seinem 12. Brief an seinen jüngeren Freund Lucilius:
„Jedes Vergnügen hebt seine größten Freuden bis zum Schluss auf. Die Zeit des Lebens, die das größte Vergnügen bietet, ist das Alter, in dem die Abwärtsbewegung – nicht der steile Abstieg – bereits begonnen hat; und meiner Meinung nach hat auch das Alter, das an der Schwelle des Todes steht, seine eigenen Freuden – oder die Tatsache, sich nicht mehr nach irgendwelchen Vergnügungen zu sehnen, tritt an deren Stelle. Wie schön ist es, wenn man seine Begierden überwunden und hinter sich gelassen hat!“
Diese Zeilen finden sich auf S. 71 in in dem Buch Seneca – Briefe an Lucilius, erschienen im Finanzbuchverlag München 2023
Ich finde, das ist ein schöner Blick aufs Alter. Man sollte nicht an der Jugend festhalten – ich glaube, man kann nur glücklich und gesund älter werden, wenn man akzeptiert, dass das Alter dazugehört. Früher wollte ich immer schneller, weiter, höher – alles so schnell wie möglich erreichen. Erst spät habe ich bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist und was ich dabei verpasst habe. Jetzt hole ich das nach: Ich genieße die Momente und die Zeit, die ich habe. Ich muss nicht mehr „höher und weiter“, sondern mache, was mir wirklich Freude bereitet.
Gut, dann bin ich halt alt. Vielleicht verstehe ich meinen Neffen irgendwann ohne Hörgerät nicht mehr, brauche eine Lupe, um die Zeitung zu lesen, und habe mir ein Treppengeländer gekauft, weil ich mich an unserer Treppe abstützen muss. Na und? Dafür nehme ich mir die Zeit, meinem Neffen genau zuzuhören, weil ich den Kopf frei habe. Ich kann stundenlang entspannt im Café Zeitung lesen und benutze immer noch beide Stockwerke im Haus, nur eben sicherer.
Alt werde ich so oder so – da nehme ich doch gerne die Vorteile mit!