Kurz mal nachgedacht

Manche Zitate sind kondensierte Lebensweisheit. Andere regen zum Nachdenken über sich selbst und die eigene Lebensführung an.

Was halten Sie von diesem:

„Alte haben gewöhnlich vergessen, dass sie jung gewesen sind,
oder sie vergessen, dass sie alt sind,
und Junge begreifen nie, dass sie alt werden können.“

Kurt Tucholsky

Alter, Arbeitsmarkt und Selbstständigkeit – Das Gründungszentrums 50+ entwickelt sich

Alter, Arbeitsmarkt und Selbstständigkeit – Das Gründungszentrums 50+ entwickelt sich

Im Jahr 2022 war hier von den Anfängen des Gründungszentrums 50+ zu lesen. Zwei Jahre sind ein guter Zeitraum, um einen neuen Blick darauf zu werfen. Dafür habe ich mit der „Erfinderin“ der Hilfeplattform für Ältere mit Selbstständigkeitsambitionen, Yani Neugebauer, gesprochen.

Das Gründungszentrum startete mit 20 enthusiastischen Neu-Selbstständigen. Mittlerweile haben sich mehr als 300 Personen dem Netzwerk angeschlossen. Was ist ihre Motivation? In großer Mehrheit sind es Expertinnen und Experten, die ihr offizielles Arbeitsleben abgeschlossen haben oder selbiges frühzeitig beendet haben. Menschen, die viel Erfahrung, Wissen und Energie haben, aber diese Ressourcen nicht weiter als Angestellte einsetzen möchten. „Endlich mal mein Ding machen“ könnte die stillschweigende Parole der meisten lauten. Im GZ 50+ finden Sie das, was sie in dieser Situation brauchen: Anleitung zum Selbstmarketing, Hinweise zur die Marktnachfrage nach ihrer spezifische Qualifikationen und schließlich – sehr wichtig – : ein Netzwerk von Menschen, die sich in einer ähnlichen Aufbruchssituation befinden.

Trotz vieler offener Stellen tun sich die Personalverantwortlichen oft schwer, Bewerbung von Menschen über 55 ernsthaft in Erwägung zu ziehen. „Zu teuer“, „zu unbeweglich“ heißt es dann oft. Sie werden ihre Einstellung ändern müssen, da die demographische Entwicklung der nächsten Jahre (mit dem fortschreitenden Renteneintritt der Baby-Boomer) den Personalmangel am Arbeitsmarkt dramatisch steigern wird. Von dieser Mangelsituation sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern betroffen. Sie besitzen weniger Ressourcen, um werblich auf dem Arbeitsmarkt von sich hören zu lassen, und haben ihren Sitz oft außerhalb der großstädtischen Speckgürtel. Bei dünner Personaldecke hat der durch Krankheit oder andere Ursachen bedingte Ausfall von einzelnen Experten oft verheerende Folgen. Die Unternehmen suchen verzweifelt nach Interimsverantwortlichen.  Nach Experten, um ein Projekt zu realisieren oder um den Know-How-Transfer für die nachrückende Generation sicherzustellen.

Tielseite des Gründungszentrums 50+

G 50+ – bunter als man denkt

Ein Blick auf die Statistik als Hintergrund: Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland über 55 Jahre ist von 2013 bis 2020 von 4,8 auf 7,3 Millionen gestiegen. Die demographische Dynamik wird diese Zahl bis 2030 über die 10- Millionen-Schwelle heben. Dagegen wird das Segment der jüngeren Arbeitsfähigen zwischen 20 und 54 Jahren kontinuierlich abnehmen – wenn nicht unwahrscheinliche Dinge geschehen, die sich der heutigen Vorhersehbarkeit entziehen. Das scheint in vielen Personalabteilungen noch nicht genügend verstanden worden zu sein. Aber das Gründerzentrum 50+ kann auch ihnen schon heute helfen: Wenn Unternehmen Stress haben (s.o.), reicht ein Griff zum Telefon. Innerhalb kurzer Zeit werden ihnen bei G50+ die passenden Personenen aus dem Expertenpool vorgestellt. Das kann bei kleinen Unternehmen, die ja händeringend suchen, schon mal Glücksgefühle auslösen.

Die genannte Entwicklung spielt dem Gründungszentrum 50+ sicherlich in die Hände. Darüber hinaus wird die Altersentwicklung Deutschlands dafür sorgen, dass die gesellschaftliche Bedeutung der Institution zunimmt. Für viele Ältere, die es „gerne noch mal wissen wollen“, stellt das Gründungszentrum bereits heute eine große Neustart-Chance da. Das gleiche gilt für viele kleine Unternehmen, die sich mit dem Füllen von Know-How-Lücken immer schwerer tun.

Eigentlich fühlen Sie sich fit und haben noch keine Lust auf den Töpferkurs in der Toskana? Dann werfen Sie doch einen Blick auf die Seiten des Gründungszentrums 50+.

 

Leben in einer Alten-Wohngemeinschaft?

Leben in einer Alten-Wohngemeinschaft?

Monika Maron hat ein Buch mit dem Titel „Das Haus“ geschrieben. Auf dem Titelblatt steht: Roman. Ich habe es eher als Elegie des Alterns gelesen. Eine Story mit Höhepunkten und unerwarteten Kippmomenten – also romanhafte Inhalte – sind nicht zu finden. Das spricht nicht gegen das Werk.
Durch eine Erbschaft kommt eine Berlinerin in den Besitz eines großen Landhauses im Brandenburgischen. Die Dorfbevölkerung des fiktionalen Ortes Bossin spricht gar von einem Schloss. Hier findet sich bald eine Gemeinschaft von engen und nicht so engen Freundinnen und Freunden/Partnern aus Berlin zusammen, um…, ja um was? Der brausenden Großstadt zu entfliehen? Die missliche Wohnsituation in Berlin durch ein gediegenes Heim in der Provinz zu ersetzen? Die Anfälle von Einsamkeit durch ein nahes, aber nicht zu nahes Miteinander mit Freunden und Bekannten zu ersetzen? Diese und andere Motivationslagen führen zur Gründung der Alten-WG. Man raucht, kocht, isst, geht Spazieren und redet miteinander. Die Fragen, wie lange man es in dieser sich durch nichts auszeichnenden Landschaft aushält oder ob und wie man mit der fast gänzlich anonym bleibenden Dorfgemeinschaft verkehrt, treten bald in den Hintergrund. Monika Maron zeigt die Akteure mit all dem Ballast, den sie aus ihrem bislang gelebten Leben mit nach Bossin mitbringen: Hadern mit vermeintlich oder wirklich falschen Lebensentscheidungen, Konsequenzen aus früheren Bindungen, die schwebende Frage, ob es vielleicht der letzte Umzug im Leben gewesen sein könnte und die Angst vor dem womöglich nahen Ende. Diese Fragen und Dialoge um Krankheit, verlorene Energien und Versuche – trotz allem -, auch diesem Lebensabschnitt noch etwas Versöhnliches abzugewinnen, prägen den Moll-Ton der Gespräche. Darüber liegt eine Schicht des üblichen Klein-Kleins, das das Zusammenleben unterschiedlicher Charaktere in einem Haus – altersunabhängig – beschäftigt: Wo darf man rauchen? Darf ein Hund ins Haus? Sind private Feste mit Anwesenheit der auswärtigen Restfamilie statthaft? Muss man sich abmelden, wenn man nach Berlin fährt? Banal? Ja, so banal wie das Leben in weiten Bereichen eben auch.
Falls Sie mit dem Gedanken einer Alten-WG auf dem Land spielen – dort könnte man es sich ja tatsächlich noch leisten -, schauen Sie zuvor in Monika Marons Handreichung.

Bucheinband

Das Reh spielt nur eine Nebenrolle

Monika Maron: Das Haus
Hoffmann und Campe Verlag
Hamburg 2023
235 Seiten, 25 €

Musizieren hält unseren Kopf fit

Musizieren hält unseren Kopf fit

Dass geistige Anregung eine gute Brandmauer gegen Alzheimer und Demenz darstellt, hat sich rumgesprochen. Auch hier wurde schon davon berichtet, dass Musikhören auch im Alter eine heilsame Wirkung hat. Nun haben Forschende der Universität Exeter festgestellt, dass aktives Musizieren (am wirksamsten auf dem Klavier) oder Singen (am besten im Chor) eine Art Schadenfreiheitsversicherung für das alternde Gehirn darstellen.

An der seit zehn Jahren laufenden Online-Studie „Protect“ haben sich 25.000 Menschen beteiligt. Die Studie belegt, dass aktives Musizieren die Gedächtnisfähigkeit unseres Gehirns stärkt. Gleiches lässt sich über die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu lösen, festhalten. Beim Chorsingen – so macht die Studie klar – ist nicht genau messbar, welche positiven Effekte allein der Musik oder dem sozialen Miteinander des Chors zuzurechnen sind. Hochwahrscheinlich ist es gerade die Mischung, die das Gehirn der Singenden positiv unter Strom hält.

Klavier mit offenem Notenhefr

Es muss ja nicht gleich Beethoven sein

Die Förderung der musikalischen Bildung bzw. die Schaffung niederschwelliger Möglichkeiten für Ältere, zur Musik zurückzukehren, liegen damit ganz offensichtlich im Interesse der öffentlichen Gesundheit. Aber ehe man auf Klavierunterricht im Seniorenheim wartet, sollte man wohl besser selbst tätig werden. Chöre gibt es wohl noch in jeder deutschen Stadt. Und Noten en gros im Internet.

Hüftoperation, Teil 3

Hüftoperation, Teil 3

Essen

Bei fast allen unangenehmen Beschäftigungen wie Wandertag, Trauerfeier oder Arbeitsalltag schafft der Blick auf die nächste Mahlzeit Vorfreude und Entlastung. Das gilt fürs Krankenhaus in noch höherem Maß. Nur die Wenigsten genießen hier wirklich den Tagesablauf. Die Mittagsmahlzeiten, die man sich zuvor als noch nicht Operierter ausgesucht hat, entsprechen durchschnittlicher Kantinenkost, erzeugen also kurze Momente der Beglückung. Bei den kalten Randmahlzeiten am Morgen und Abend sieht es anders aus: Auf der Vorauswahlkarte hatte ich bei den Wurst- und Käsekästchen je eine 1 notiert. Ich ging dabei von Portion, nicht aber von Scheibe aus. Das Wenige, was ich nun hatte, sah wursttechnisch nicht unbedingt lecker aus. Die Käsescheibe – es war über die Tage hinweg immer die gleiche – erinnerte in ihrer Transparenz und mikrometergleichen Schichtung an feuchtes Pergamentpapier. Immerhin kam der Tee fast jeden zweiten Tag mit der bestellten Milch. Manchmal fehlten die gestanzten Vollkornbrotscheiben zum Brötchen. Manchmal aber auch nicht.
Morgens und abends wurde mir das Essen auf einem Tablett serviert, häufiger falsch als richtig herum. Ich buchte das unter dem Motto „fremde Länder, fremde Sitten“ ab. Ohne das Personal mit Migrationshintergrund hätte ich wohl nicht einmal halb so viel Aufmerksamkeit und Hilfe erfahren. Vielleicht trinkt man in einer jener Kulturen, aus denen die mich umsorgenden Pflegerinnen und Hilfskräfte stammen, den Tee vor Frühstück und Abendbrot? Auch hierzulande gab es ja eine Bewegung, die das Trinken zum Essen als magenunfreundlich skandalisierte. An meinem vorletzten Liegetag fasste ich mir dennoch ein Herz und versuchte einem der mich umsorgenden Geister zu erklären, dass es viel patientenfreundlicher wäre, den Teller vorne links vor sich zu haben, das Besteck rechts daneben und Kanne und Tasse dahinter. Leider konnte ich im Anschluss keinen Funken des Verstehens bei meinem Gegenüber erkennen. Ich erinnerte mich an eines der Grundgesetzte der Kommunikationswissenschaft: „Der Sender ist dafür verantwortlich, dass eine Nachricht ankommt.“ Also mein Fehler und mein Problem.

Erste Schritte

Am folgenden Tag schaffe ich das Aufstehen tatsächlich ganz alleine. Die erlernte Technik, das intakte Bein seinen Zwilling mit vom Bett schieben zu lassen, hilft. Aber vor allem hat der Genesungsprozess (oder wie auch immer man das nennen will) Fortschritte gemacht. Der Mensch isst, schläft, liest, dackelt vor sich hin, und der Körper übernimmt in aller Stille die großen Reparatur- und Anpassungsarbeiten. Danke, Körper!
Auch der umgekehrte Weg – vom Boden aufs Bett – ist nun machbar, da das gesunde Bein als Kran unter den Unterschenkel des frisch behandelten Beins greifen kann und die Last auf das Bett und dort auch noch Richtung Mitte zerren kann. Also ein Ausflug – vielleicht sogar aus dem Zimmer hinaus in die weite Welt der Krankenhausgänge.
Linke Krücke und rechtes Bein…rechte Krücke und..rech, nein. Nochmal von vorne: mein Blick fällt streng auf das Fußpaar. Also: rechtes Bein und linke Krücke, linkes Bein und rechte Krücke, rechtes Bei und…Ende Gelände. Das Bett steht im Weg. Vorbeikommen ist nur mit seitlichen Trippelschritten möglich. Eins, zwei, eins. Eine Krücke fällt mit Gepolter zu Boden. Mist. Mit einer Hand am Bett festhalten, die andere Krücke umdrehen und nach dem verlorenen Stock angeln. OK. Rechtes Bein und linke Krücke, linkes Bein und rechte Krücke. Rechtes Bein,..wie jetzt? So schwer ist es doch nicht. Aber die Pillen zeigen ihre Nebenwirkung. Das hübsche Schächtelchen mit den vier Abteilungen morgens, mittags, abends, nachts kommt jeden Morgen mit zwölf Pillen im Modus vier, drei, drei, zwei vor dem Frühstück auf das Behelfstischchen. Sie schlichten das Schmerzaufkommen, reduzieren die Entzündungen im Körper und schonen die Magenwand. Aber sie machen auch müde und senken die koordinativen Fähigkeiten. Jede Münze hat zwei Seiten. Auf die Schmerzen verzichtet man gerne. Das Denken wird sich ja hoffentlich wieder erholen. Linke Krücke, rechtes Bein, rechte Krücke, linkes Bein, rechtes Bein und linke Krücke: die Morgenrunde um die Krankenstation kann starten. Nein, halt! Ich hab die Maske vergessen. Zurück auf Anfang.

Mann blickt mit geöffneten Armen aufs Meer

   Ach Welt, was bist Du schön!                                                                                  Bild von Pexels auf Pixabay

Hoch hinaus

Lässig drücke ich mit dem Krückenende auf das Tastenfeld des Fahrstuhles. Die Dachterrasse ist ein Traum. Unten gleitet der Fluss in dezenter Entfernung langsam von links nach rechts hinten vorbei. Man krückt über schwarze Marmorplatten, die ein großes Feld von dunklem, asiatischem Holz (oder dessen überzeugendem Imitat) umranden. Hochbeete mit Steppen- oder Tundrapflanzen – wer kann das bei der herrschenden Trockenheit schon unterscheiden? – geben dem Blick einen Zwischenhalt. Die Terrasse wird von grosszügigen Glaselementen umspannt, bekränzt von einer dünnen Metallleiste. Inseln im Fluss mit müßigen Booten zwischen ihnen und Windräder am Horizont malen ein hübsches Bühnenbild aus friedfertigem Miteinander von Natur und Kultur. Buchen und Akazien fingern von unten gen Terrasse, ohne ihre Majestät gefährden zu können. Jedoch verdecken sie an einigen Stellen den geraden Süd-Blick auf den Fluss. Mensch mit Implantat, wo magst Du Dich regenerieren, wenn nicht hier?
Doch wo nehm´ ich Platz? Dreierlei Gestühl verrät den edlen Geschmack des Dachterrassenausstatters: Stühle mit Lochmuster, die metallen erscheinen und in drei dezenten Farbtönen das Setting beleben. Dreiviertelkugeln aus Weidengeflecht und schwere, weiße Parksessel streiten darum, wer den tieferen Einstieg bietet. Aber hier ist kein Fahrertreff von Sportwagenfanatikern. Als Frischoperierter kann man nur stehen und staunen: bis ich in diesen Augenschmeichlern wieder Platz nehmen kann, werden Tage, wenn nicht Wochen vergehen.
Schade eigentlich. Aber Bewegung ist ja ohnehin für Neuimplantatbesitzer gesünder als elegantes Rumsitzen.

Entlassungstag

Das Paralleluniversum Krankenhaus hat beschlossen, dass es Zeit für mich ist, die Station zu verlassen. Und das sehr schnell.
Um 07.05 Uhr werde ich geweckt. Ein Pfleger bringt mir meine Tagesration von zwölf Pillen. Im Frühstücksfach liegen wie gewohnt vier. „Kann ich die anderen in einer Schachtel mitnehmen?“
„Selbstverständlich. Nehmen Sie sich doch gleich die Schale mit, dann können Sie besser Ihre Portionen aufteilen.“
„Wie nett von Ihnen!“
Durch die offene Zimmertür kommt eine Pflegekraft:
„Guten Morgen! Ihr Frühstück ist da.“
Zum letzten Mal blicke ich durch die Käsescheibe hinaus in den schon gleissend hellen Morgen.
Ich habe noch nicht einmal meine erste Brotscheibe mit Butter versehen, da kommt der Assistenzarzt mit seinem Geschenkbeutel: Entlassungsbericht und Medikamente für die nächsten Tage sowie ein letzter Pflasterwechsel mit aufmunterndem Kommentar: „Na, das sieht ja richtig gut aus. Die Thromboseprophylaxe müssen Sie noch einen Monat lang nehmen. Ansonsten ist bei Ihnen alles klar. Sollten Sie wider Erwarten Probleme mit der Naht bekommen, melden Sie sich bitte bei uns. Andere können das natürlich auch, aber wir würden die notwendige Wundspülung schon lieber selber machen.“
Ich bin froh, dass hier Verantwortung offensichtlich nachhaltig interpretiert wird, „Gerne, mach ich.“
Ich frühstücke zu Ende und packe meine Sachen. Eine nette Schwesternhelferin bringt mir meinen Kram nach unten, während ich mich, Krücken zum Gruß erhoben, von den guten Geistern des Hauses verabschiede. Der Fahrstuhl surrt mit mir nach unten. Ein letzter langer Gang, rechtes Bein, linke Krücke, rechtes Bein, linke Krücke. Dann stöcker ich am Empfang vorbei durch die Drehtür nach draußen. „Welt, Du hast mich zurück!“

Hüft-Operation, Teil 2

Hüft-Operation, Teil 2

Kleine Freuden

Jegliche Arbeit am eigenen Körper dauert in den ersten Tagen nach der Operation fünfmal so lange wie gewohnt. Das hat immerhin den Vorteil, dass sich die leere Zeit, in der der Körper Genesungsarbeit zu leisten hat, der Restmensch aber nicht weiter gefragt ist, verkürzt.
Im Bad ist mir nach dem Duschen das Pflaster vom Injektionszugang auf dem Unterarm runtergefallen. In keinem Fall 90 Grad oder mehr mit dem Oberkörper nach unten beugen! Bücken bis in diese tiefe Regionen ist weder erlaubt noch möglich. Aber wenn man die beiden Krückenfüße wie Baggerzangen aufeinander zubewegt, kann man das zusammengeklebte Pflaster aufheben und sogar in dem kleinen Kippdeckelmülleimer verstauen. Die Freude über Idee und Geschicklichkeit lockt mir ein Lächeln ist Gesicht.
Man kann auch die langen Gardinen am Fester mit der Universalgreifzange packen und auf- und zuziehen. Das übe ich doch mit Vergnügen gleich zwei-, dreimal.
Mein Gott, wie bescheiden einen ein solcher Beschnitt der eigenen Fähigkeiten machen kann!

Ein paar Gehhilfen

      Leider unerlässlich: die Krücken                                          Bild von Bruno auf Pixabay

Zusatzversichert

Seit Jugendtagen habe ich eine Zusatzversicherung für Ein- oder Zwei-Bettzimmer und Chefarztbehandlung. Vor allem wegen der Aversion, Zimmer und Bad mit Fremden teilen zu müssen. Das habe ich während zweier Bundeswehrjahre hinreichend erlebt. Auf die Chefarztbehandlung würde ich sogar eher verzichten wollen. Zwar kann man so sicher sein, jemanden mit Hammer und Feile an sich rumarbeiten zu lassen, der diesen Akt wohl schon ein paar hundert Mal hinter sich gebracht hat. Aber die Erfahrung aus dem Arbeitsleben zeigt, dass Routiniers auch gerne mal zum Schnell-Schnell neigen, da sie ja aus ihrer Erfahrung wissen, wie die Dinge laufen. Ein weniger erfahrener Oberarzt wird mehr als alle erforderliche Aufmerksamkeit in die Operationssituation einbringen, um ja keinen Fehler zu machen. Denke ich. Nun, ich hatte Glück. Der Chefarzt hat – soweit ich das beurteilen kann – trefflich gehämmert, gefeilt und genäht. Sein Besuch am Folgetag der Operation gehört wahrscheinlich zu den ältesten Ritualen des ärztlichen Gewerbes. Der Arzt ahnt wie es dem Patienten geht. Hundert Mal gesehen, hundert mal gefragt. So ist es eher eine ritualisierte Geste als ein Erkenntnisbegehren, das ihn an mein Bett führt. Im Halbrausch des Schmerzmittelcocktails bin ich auch kein ernstzunehmender Gesprächspartner. Mein Hinweis auf die just durchlebte schwärzeste Nacht meines Lebens quittiert er mit angedeutet weisem Kopfnicken und dem Hinweis, ich möge um noch mehr Schmerzmittel bitten. „Alles Gute weiterhin“ und schon schließt sich die Tür sanft hinter ihm. Später notiere ich auf der Habenseite, dass ich nicht zum Objekt einer Visite mit wundgierigen Ärzten im Praktikum geworden bin und dass er nicht gefragt hat, wie „es uns denn heute geht“.
Der Satus des Zusatzversicherten hält noch weitere Features für mich bereit, über die ich mir gar nicht im Klaren war: jeden Tag kommt eine lokale Tageszeitung an mein Bett. Am ersten Tag dachte ich, mein Vorgänger hätte sie liegen gelassen. Ich habe diese Zeitung schon vor Jahrzehnten wegen ihrer dümmlichen Biederkeit gehasst und nur unter Not in Wartezimmern von Zahnärzten durchgeblättert. Weiterhin schwebte an einem Tag ein Wesen freudestrahlend fragend an mein Bett: „Möchten Sie Kekse oder einen Obstteller? Ich hätte täglich Anspruch darauf. „Nun, Obstteller wäre schön!“ Das in Weiß und Rosa gehüllte Wesen kehrte umgehend mit einem Obstteller zurück. Trotz meines innigen Dankes habe ich es nie wieder gesehen. Einen Obstteller auch nicht. Auf der Essensliste wären noch Extras wie Räucherfisch oder Leberwurst ankreuzbar gewesen. Da mich zuvor niemand aufgeklärt hatte und ich annahm, dass es sich um kostenpflichtige Extras handeln würde, hatte ich davon Abstand genommen. Kalorientechnisch betrachtet wahrscheinlich eine kluge Entscheidung.

Fortsetzung folgt

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