10.02.2024 | Allgemein, Gesellschaft, Gesundheit, Kunst, Literatur, Philosophie, Seniorenheim, Sterben, Tod, Umzug, Wohnen
Monika Maron hat ein Buch mit dem Titel „Das Haus“ geschrieben. Auf dem Titelblatt steht: Roman. Ich habe es eher als Elegie des Alterns gelesen. Eine Story mit Höhepunkten und unerwarteten Kippmomenten – also romanhafte Inhalte – sind nicht zu finden. Das spricht nicht gegen das Werk.
Durch eine Erbschaft kommt eine Berlinerin in den Besitz eines großen Landhauses im Brandenburgischen. Die Dorfbevölkerung des fiktionalen Ortes Bossin spricht gar von einem Schloss. Hier findet sich bald eine Gemeinschaft von engen und nicht so engen Freundinnen und Freunden/Partnern aus Berlin zusammen, um…, ja um was? Der brausenden Großstadt zu entfliehen? Die missliche Wohnsituation in Berlin durch ein gediegenes Heim in der Provinz zu ersetzen? Die Anfälle von Einsamkeit durch ein nahes, aber nicht zu nahes Miteinander mit Freunden und Bekannten zu ersetzen? Diese und andere Motivationslagen führen zur Gründung der Alten-WG. Man raucht, kocht, isst, geht Spazieren und redet miteinander. Die Fragen, wie lange man es in dieser sich durch nichts auszeichnenden Landschaft aushält oder ob und wie man mit der fast gänzlich anonym bleibenden Dorfgemeinschaft verkehrt, treten bald in den Hintergrund. Monika Maron zeigt die Akteure mit all dem Ballast, den sie aus ihrem bislang gelebten Leben mit nach Bossin mitbringen: Hadern mit vermeintlich oder wirklich falschen Lebensentscheidungen, Konsequenzen aus früheren Bindungen, die schwebende Frage, ob es vielleicht der letzte Umzug im Leben gewesen sein könnte und die Angst vor dem womöglich nahen Ende. Diese Fragen und Dialoge um Krankheit, verlorene Energien und Versuche – trotz allem -, auch diesem Lebensabschnitt noch etwas Versöhnliches abzugewinnen, prägen den Moll-Ton der Gespräche. Darüber liegt eine Schicht des üblichen Klein-Kleins, das das Zusammenleben unterschiedlicher Charaktere in einem Haus – altersunabhängig – beschäftigt: Wo darf man rauchen? Darf ein Hund ins Haus? Sind private Feste mit Anwesenheit der auswärtigen Restfamilie statthaft? Muss man sich abmelden, wenn man nach Berlin fährt? Banal? Ja, so banal wie das Leben in weiten Bereichen eben auch.
Falls Sie mit dem Gedanken einer Alten-WG auf dem Land spielen – dort könnte man es sich ja tatsächlich noch leisten -, schauen Sie zuvor in Monika Marons Handreichung.

Das Reh spielt nur eine Nebenrolle
Monika Maron: Das Haus
Hoffmann und Campe Verlag
Hamburg 2023
235 Seiten, 25 €
30.01.2024 | Allgemein, Alzheimer, Demenz, Forschung, Gesundheit, Musik, Vorsorge
Dass geistige Anregung eine gute Brandmauer gegen Alzheimer und Demenz darstellt, hat sich rumgesprochen. Auch hier wurde schon davon berichtet, dass Musikhören auch im Alter eine heilsame Wirkung hat. Nun haben Forschende der Universität Exeter festgestellt, dass aktives Musizieren (am wirksamsten auf dem Klavier) oder Singen (am besten im Chor) eine Art Schadenfreiheitsversicherung für das alternde Gehirn darstellen.
An der seit zehn Jahren laufenden Online-Studie „Protect“ haben sich 25.000 Menschen beteiligt. Die Studie belegt, dass aktives Musizieren die Gedächtnisfähigkeit unseres Gehirns stärkt. Gleiches lässt sich über die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu lösen, festhalten. Beim Chorsingen – so macht die Studie klar – ist nicht genau messbar, welche positiven Effekte allein der Musik oder dem sozialen Miteinander des Chors zuzurechnen sind. Hochwahrscheinlich ist es gerade die Mischung, die das Gehirn der Singenden positiv unter Strom hält.

Es muss ja nicht gleich Beethoven sein
Die Förderung der musikalischen Bildung bzw. die Schaffung niederschwelliger Möglichkeiten für Ältere, zur Musik zurückzukehren, liegen damit ganz offensichtlich im Interesse der öffentlichen Gesundheit. Aber ehe man auf Klavierunterricht im Seniorenheim wartet, sollte man wohl besser selbst tätig werden. Chöre gibt es wohl noch in jeder deutschen Stadt. Und Noten en gros im Internet.
12.12.2023 | Allgemein, Gesundheit, Humor, Krankenhaus, Medizin, Pflege, Wohlbefinden
Essen
Bei fast allen unangenehmen Beschäftigungen wie Wandertag, Trauerfeier oder Arbeitsalltag schafft der Blick auf die nächste Mahlzeit Vorfreude und Entlastung. Das gilt fürs Krankenhaus in noch höherem Maß. Nur die Wenigsten genießen hier wirklich den Tagesablauf. Die Mittagsmahlzeiten, die man sich zuvor als noch nicht Operierter ausgesucht hat, entsprechen durchschnittlicher Kantinenkost, erzeugen also kurze Momente der Beglückung. Bei den kalten Randmahlzeiten am Morgen und Abend sieht es anders aus: Auf der Vorauswahlkarte hatte ich bei den Wurst- und Käsekästchen je eine 1 notiert. Ich ging dabei von Portion, nicht aber von Scheibe aus. Das Wenige, was ich nun hatte, sah wursttechnisch nicht unbedingt lecker aus. Die Käsescheibe – es war über die Tage hinweg immer die gleiche – erinnerte in ihrer Transparenz und mikrometergleichen Schichtung an feuchtes Pergamentpapier. Immerhin kam der Tee fast jeden zweiten Tag mit der bestellten Milch. Manchmal fehlten die gestanzten Vollkornbrotscheiben zum Brötchen. Manchmal aber auch nicht.
Morgens und abends wurde mir das Essen auf einem Tablett serviert, häufiger falsch als richtig herum. Ich buchte das unter dem Motto „fremde Länder, fremde Sitten“ ab. Ohne das Personal mit Migrationshintergrund hätte ich wohl nicht einmal halb so viel Aufmerksamkeit und Hilfe erfahren. Vielleicht trinkt man in einer jener Kulturen, aus denen die mich umsorgenden Pflegerinnen und Hilfskräfte stammen, den Tee vor Frühstück und Abendbrot? Auch hierzulande gab es ja eine Bewegung, die das Trinken zum Essen als magenunfreundlich skandalisierte. An meinem vorletzten Liegetag fasste ich mir dennoch ein Herz und versuchte einem der mich umsorgenden Geister zu erklären, dass es viel patientenfreundlicher wäre, den Teller vorne links vor sich zu haben, das Besteck rechts daneben und Kanne und Tasse dahinter. Leider konnte ich im Anschluss keinen Funken des Verstehens bei meinem Gegenüber erkennen. Ich erinnerte mich an eines der Grundgesetzte der Kommunikationswissenschaft: „Der Sender ist dafür verantwortlich, dass eine Nachricht ankommt.“ Also mein Fehler und mein Problem.
Erste Schritte
Am folgenden Tag schaffe ich das Aufstehen tatsächlich ganz alleine. Die erlernte Technik, das intakte Bein seinen Zwilling mit vom Bett schieben zu lassen, hilft. Aber vor allem hat der Genesungsprozess (oder wie auch immer man das nennen will) Fortschritte gemacht. Der Mensch isst, schläft, liest, dackelt vor sich hin, und der Körper übernimmt in aller Stille die großen Reparatur- und Anpassungsarbeiten. Danke, Körper!
Auch der umgekehrte Weg – vom Boden aufs Bett – ist nun machbar, da das gesunde Bein als Kran unter den Unterschenkel des frisch behandelten Beins greifen kann und die Last auf das Bett und dort auch noch Richtung Mitte zerren kann. Also ein Ausflug – vielleicht sogar aus dem Zimmer hinaus in die weite Welt der Krankenhausgänge.
Linke Krücke und rechtes Bein…rechte Krücke und..rech, nein. Nochmal von vorne: mein Blick fällt streng auf das Fußpaar. Also: rechtes Bein und linke Krücke, linkes Bein und rechte Krücke, rechtes Bei und…Ende Gelände. Das Bett steht im Weg. Vorbeikommen ist nur mit seitlichen Trippelschritten möglich. Eins, zwei, eins. Eine Krücke fällt mit Gepolter zu Boden. Mist. Mit einer Hand am Bett festhalten, die andere Krücke umdrehen und nach dem verlorenen Stock angeln. OK. Rechtes Bein und linke Krücke, linkes Bein und rechte Krücke. Rechtes Bein,..wie jetzt? So schwer ist es doch nicht. Aber die Pillen zeigen ihre Nebenwirkung. Das hübsche Schächtelchen mit den vier Abteilungen morgens, mittags, abends, nachts kommt jeden Morgen mit zwölf Pillen im Modus vier, drei, drei, zwei vor dem Frühstück auf das Behelfstischchen. Sie schlichten das Schmerzaufkommen, reduzieren die Entzündungen im Körper und schonen die Magenwand. Aber sie machen auch müde und senken die koordinativen Fähigkeiten. Jede Münze hat zwei Seiten. Auf die Schmerzen verzichtet man gerne. Das Denken wird sich ja hoffentlich wieder erholen. Linke Krücke, rechtes Bein, rechte Krücke, linkes Bein, rechtes Bein und linke Krücke: die Morgenrunde um die Krankenstation kann starten. Nein, halt! Ich hab die Maske vergessen. Zurück auf Anfang.

Ach Welt, was bist Du schön! Bild von Pexels auf Pixabay
Hoch hinaus
Lässig drücke ich mit dem Krückenende auf das Tastenfeld des Fahrstuhles. Die Dachterrasse ist ein Traum. Unten gleitet der Fluss in dezenter Entfernung langsam von links nach rechts hinten vorbei. Man krückt über schwarze Marmorplatten, die ein großes Feld von dunklem, asiatischem Holz (oder dessen überzeugendem Imitat) umranden. Hochbeete mit Steppen- oder Tundrapflanzen – wer kann das bei der herrschenden Trockenheit schon unterscheiden? – geben dem Blick einen Zwischenhalt. Die Terrasse wird von grosszügigen Glaselementen umspannt, bekränzt von einer dünnen Metallleiste. Inseln im Fluss mit müßigen Booten zwischen ihnen und Windräder am Horizont malen ein hübsches Bühnenbild aus friedfertigem Miteinander von Natur und Kultur. Buchen und Akazien fingern von unten gen Terrasse, ohne ihre Majestät gefährden zu können. Jedoch verdecken sie an einigen Stellen den geraden Süd-Blick auf den Fluss. Mensch mit Implantat, wo magst Du Dich regenerieren, wenn nicht hier?
Doch wo nehm´ ich Platz? Dreierlei Gestühl verrät den edlen Geschmack des Dachterrassenausstatters: Stühle mit Lochmuster, die metallen erscheinen und in drei dezenten Farbtönen das Setting beleben. Dreiviertelkugeln aus Weidengeflecht und schwere, weiße Parksessel streiten darum, wer den tieferen Einstieg bietet. Aber hier ist kein Fahrertreff von Sportwagenfanatikern. Als Frischoperierter kann man nur stehen und staunen: bis ich in diesen Augenschmeichlern wieder Platz nehmen kann, werden Tage, wenn nicht Wochen vergehen.
Schade eigentlich. Aber Bewegung ist ja ohnehin für Neuimplantatbesitzer gesünder als elegantes Rumsitzen.
Entlassungstag
Das Paralleluniversum Krankenhaus hat beschlossen, dass es Zeit für mich ist, die Station zu verlassen. Und das sehr schnell.
Um 07.05 Uhr werde ich geweckt. Ein Pfleger bringt mir meine Tagesration von zwölf Pillen. Im Frühstücksfach liegen wie gewohnt vier. „Kann ich die anderen in einer Schachtel mitnehmen?“
„Selbstverständlich. Nehmen Sie sich doch gleich die Schale mit, dann können Sie besser Ihre Portionen aufteilen.“
„Wie nett von Ihnen!“
Durch die offene Zimmertür kommt eine Pflegekraft:
„Guten Morgen! Ihr Frühstück ist da.“
Zum letzten Mal blicke ich durch die Käsescheibe hinaus in den schon gleissend hellen Morgen.
Ich habe noch nicht einmal meine erste Brotscheibe mit Butter versehen, da kommt der Assistenzarzt mit seinem Geschenkbeutel: Entlassungsbericht und Medikamente für die nächsten Tage sowie ein letzter Pflasterwechsel mit aufmunterndem Kommentar: „Na, das sieht ja richtig gut aus. Die Thromboseprophylaxe müssen Sie noch einen Monat lang nehmen. Ansonsten ist bei Ihnen alles klar. Sollten Sie wider Erwarten Probleme mit der Naht bekommen, melden Sie sich bitte bei uns. Andere können das natürlich auch, aber wir würden die notwendige Wundspülung schon lieber selber machen.“
Ich bin froh, dass hier Verantwortung offensichtlich nachhaltig interpretiert wird, „Gerne, mach ich.“
Ich frühstücke zu Ende und packe meine Sachen. Eine nette Schwesternhelferin bringt mir meinen Kram nach unten, während ich mich, Krücken zum Gruß erhoben, von den guten Geistern des Hauses verabschiede. Der Fahrstuhl surrt mit mir nach unten. Ein letzter langer Gang, rechtes Bein, linke Krücke, rechtes Bein, linke Krücke. Dann stöcker ich am Empfang vorbei durch die Drehtür nach draußen. „Welt, Du hast mich zurück!“
07.12.2023 | Allgemein, Ernährung, Krankenhaus, Pflege, Technik, Wohlbefinden
Kleine Freuden
Jegliche Arbeit am eigenen Körper dauert in den ersten Tagen nach der Operation fünfmal so lange wie gewohnt. Das hat immerhin den Vorteil, dass sich die leere Zeit, in der der Körper Genesungsarbeit zu leisten hat, der Restmensch aber nicht weiter gefragt ist, verkürzt.
Im Bad ist mir nach dem Duschen das Pflaster vom Injektionszugang auf dem Unterarm runtergefallen. In keinem Fall 90 Grad oder mehr mit dem Oberkörper nach unten beugen! Bücken bis in diese tiefe Regionen ist weder erlaubt noch möglich. Aber wenn man die beiden Krückenfüße wie Baggerzangen aufeinander zubewegt, kann man das zusammengeklebte Pflaster aufheben und sogar in dem kleinen Kippdeckelmülleimer verstauen. Die Freude über Idee und Geschicklichkeit lockt mir ein Lächeln ist Gesicht.
Man kann auch die langen Gardinen am Fester mit der Universalgreifzange packen und auf- und zuziehen. Das übe ich doch mit Vergnügen gleich zwei-, dreimal.
Mein Gott, wie bescheiden einen ein solcher Beschnitt der eigenen Fähigkeiten machen kann!

Leider unerlässlich: die Krücken Bild von Bruno auf Pixabay
Zusatzversichert
Seit Jugendtagen habe ich eine Zusatzversicherung für Ein- oder Zwei-Bettzimmer und Chefarztbehandlung. Vor allem wegen der Aversion, Zimmer und Bad mit Fremden teilen zu müssen. Das habe ich während zweier Bundeswehrjahre hinreichend erlebt. Auf die Chefarztbehandlung würde ich sogar eher verzichten wollen. Zwar kann man so sicher sein, jemanden mit Hammer und Feile an sich rumarbeiten zu lassen, der diesen Akt wohl schon ein paar hundert Mal hinter sich gebracht hat. Aber die Erfahrung aus dem Arbeitsleben zeigt, dass Routiniers auch gerne mal zum Schnell-Schnell neigen, da sie ja aus ihrer Erfahrung wissen, wie die Dinge laufen. Ein weniger erfahrener Oberarzt wird mehr als alle erforderliche Aufmerksamkeit in die Operationssituation einbringen, um ja keinen Fehler zu machen. Denke ich. Nun, ich hatte Glück. Der Chefarzt hat – soweit ich das beurteilen kann – trefflich gehämmert, gefeilt und genäht. Sein Besuch am Folgetag der Operation gehört wahrscheinlich zu den ältesten Ritualen des ärztlichen Gewerbes. Der Arzt ahnt wie es dem Patienten geht. Hundert Mal gesehen, hundert mal gefragt. So ist es eher eine ritualisierte Geste als ein Erkenntnisbegehren, das ihn an mein Bett führt. Im Halbrausch des Schmerzmittelcocktails bin ich auch kein ernstzunehmender Gesprächspartner. Mein Hinweis auf die just durchlebte schwärzeste Nacht meines Lebens quittiert er mit angedeutet weisem Kopfnicken und dem Hinweis, ich möge um noch mehr Schmerzmittel bitten. „Alles Gute weiterhin“ und schon schließt sich die Tür sanft hinter ihm. Später notiere ich auf der Habenseite, dass ich nicht zum Objekt einer Visite mit wundgierigen Ärzten im Praktikum geworden bin und dass er nicht gefragt hat, wie „es uns denn heute geht“.
Der Satus des Zusatzversicherten hält noch weitere Features für mich bereit, über die ich mir gar nicht im Klaren war: jeden Tag kommt eine lokale Tageszeitung an mein Bett. Am ersten Tag dachte ich, mein Vorgänger hätte sie liegen gelassen. Ich habe diese Zeitung schon vor Jahrzehnten wegen ihrer dümmlichen Biederkeit gehasst und nur unter Not in Wartezimmern von Zahnärzten durchgeblättert. Weiterhin schwebte an einem Tag ein Wesen freudestrahlend fragend an mein Bett: „Möchten Sie Kekse oder einen Obstteller? Ich hätte täglich Anspruch darauf. „Nun, Obstteller wäre schön!“ Das in Weiß und Rosa gehüllte Wesen kehrte umgehend mit einem Obstteller zurück. Trotz meines innigen Dankes habe ich es nie wieder gesehen. Einen Obstteller auch nicht. Auf der Essensliste wären noch Extras wie Räucherfisch oder Leberwurst ankreuzbar gewesen. Da mich zuvor niemand aufgeklärt hatte und ich annahm, dass es sich um kostenpflichtige Extras handeln würde, hatte ich davon Abstand genommen. Kalorientechnisch betrachtet wahrscheinlich eine kluge Entscheidung.
Fortsetzung folgt
06.12.2023 | Allgemein, Demographie, Pflege, Rente, Staat, Vorsorge
Die Deutschen werden immer älter und bekommen zu wenig Kinder. Das ist bekannt. Aber was bedeutet das für die Pflegebedürftigen von heute und morgen? Kurz gesagt: potentielle Armut. Die Pflegeversicherung wurde 1995 eingeführt. Das heißt, dass viele der jetzt Pflegebedürftigen wenig oder gar nichts in diese Versicherung eingezahlt haben. Das ohnehin unterfinanzierte System blutet jetzt bereits aus. Es verlangt nach Reformen.
Die shz beruft sich auf den Pflege- und Finanzexperten Bernd Raffelhüschen. Dieser meint, dass sich das Verhältnis von häuslicher und stationärer Pflege drastisch ändern werde: heute werden acht von zehn Pflegebedürftigen zuhause gepflegt. Lediglich zwei in einer Einrichtung. Die Tendenz ginge – so Raffelhüschen – Richtung halbe/halbe. Die Durchschnittsrente beträgt heute 1.500€. Dem stehen durchschnittliche Heimpflegekosten von 2.600 € gegenüber. Die Schere wird weiter auseinandergehen. Wo soll das Geld herkommen?

Foto von Emil Kalibradov auf Unsplash
Die Rechtslage
Angespartes Vermögen wird zur stationären Pflege hinzugezogen, wenn die Rente nicht ausreicht. Ein gesetzlich garantierter Schonbetrag ausgenommen. Dann ist – falls gegeben – der Verkauf von Wohnung oder Haus fällig. Es sei denn, der Partner oder die Partnerin wohnt noch dort. Eine vorzeitige Überschreibung an das Kind oder die Kinder ist nur dann hilfreich, wenn diese mindestens 10 Jahre vor der Pflegefälligkeit getätigt wurde. Sonst tritt eine „Schenkungsrückforderung“ in Kraft. Wer also gespart hat und sich seinen Klein-Häuschen-Traum erfüllt hat, wird genauso zur Kasse gebeten wie ein Immobilienmogul. Wer Sparen für überflüssig oder nicht nötig oder möglich gehalten hat, bekommt hingegen Unterstützung aus der staatlichen Sozialkasse. So undifferenziert scheint mir dies nicht das Maximum an möglicher Gerechtigkeit zu sein.
Aber weiter:
Kinder, die mehr als 100.000 € Jahreseinkommen beziehen (§ 94 Abs. 1a SGB XII), werden seit 2020 zur Deckung der Lücke verpflichtet. Wie immer, gibt es auch hier gesetzliche Ausnahmen. So ist z.B. ihr möglicher Immobilienbesitz davon aber nicht betroffen.
Und nun?
Die häusliche Pflege ist für die Angehörigen mit Verlust von Karrieremöglichkeiten, also langfristigem Gehaltsverlust verbunden. Die Option, Pfleger oder Pflegerinnen ins Haus zu holen, wird – mangels Unterbringungsmöglichkeit auf der einen Seite, mangels Personal auf der anderen Seite – immer schwieriger.
Wenn wir uns möglichst viel Mühe geben, körperlich, sozial und geistig fit zu bleiben, löst dies nicht das Problem, aber es wird ein bisschen überschaubarer. Die Hoffnung, dass der Staat sich der Sache annehmen wird, läuft ins Leere. Schon jetzt belaufen sich die Zahlungen des Bundeshaushaltes in das marode Rentensystem auf rund ein Viertel des Gesamtetats. Alles nicht so rosig!
04.12.2023 | Allgemein, Gesundheit, Implantat, Krankenhaus, Medizin, Technik, Wissenschaft, Wohlbefinden
Laut Statistik wurden 2021 in Deutschland knapp 300,8 Implantationen künstlicher Hüftgelenke je 100.000 Einwohner durchgeführt. Das ergibt in Summe rund 256.000 neue Hüftimplantate. Auch hier ist Deutschland fast Weltmeister. Lediglich die Schweizer sind uns voraus. Im prozentualen Durchschnitt der OECD-Länder wurden im selben Jahr nicht einmal halb so viele Hüften ersetzt.
Das sind bloße Zahlen. Wie aber erlebt der Einzelne seinen Krankenhausaufenthalt bei diesem häufigsten chirurgischen Eingriff in unserem Land? Eindrücke eines Patienten.
In der Anästhesie
Mein Zimmer habe ich bezogen: Kulturtasche ins Bad, Bücher auf das Beistelltischchen, Handy in die Schublade. Trotz Aufregung war mein Nachtschlaf ganz passabel. Jetzt habe ich nur noch ein zeitlos hässliches Krankenhaushemdchen am Körper. Zur Frühstückszeit werde ich abgeholt. Ein Mitarbeiter in vornehm dunkelrotem Kittel schiebt mein Bett und damit auch mich aus dem Zimmer. Linksherum, geradeaus, rechtsherum und rein in den Fahrstuhl. Unten dann In einer Art Vorraum, der mich an den Verkaufsraum unserer Fleischerei erinnert. Vielleicht wegen der Kacheln. Ich werde umgebettet. Das Wägelchen, auf dem ich zum Liegen komme, scheint so schmal zu sein, dass ich Angst habe runterzufallen.
„Geht es Ihnen gut?“
„Och, eigentlich schon.“
„Ist das Ihre erste OP?“
„Nö, eigentlich nicht.“
„Ahh, deswegen sind Sie so gefasst.“
Alter Schmeichler.
„Ist Ihnen kalt?“
„Ja, ein bisschen schon.“
„Das haben wir gleich.“ Die Stimme gehört einem weiteren Dunkelrotgewandeten. Er hat die freundliche Stimme und das Gehabe eines Lufthansa-Flugbegleiters, der einen für den Interkontinentalflug in der Businessclass vorbereitet.
Ganz schnell wird es unter mir warm.
„Gut so?“
„Hmm, geht auch ein bisschen weniger?“
„Kein Problem. Wir haben jetzt 39 Grad, ich dreh mal runter auf 38.“
Dann bekomme ich eine halbtransparente Maske aufgesetzt und bin fast im selben Moment – wohin? – entschwunden.

Im Krankenhausbett
Erstes Aufstehen
Nach der ersten Nacht, die keine Nacht, sondern ein Alptraum aus Bewegungslosigkeit, Hitze und Nicht-Entfliehen-Können war, fordert die resolute Schwester, man möge die Beine auf den Boden stellen. Nur, das frisch operierte Bein macht keinerlei Anstalten, der Anweisung aus der Zentrale Folge zu leisten.
„Ich schaff das nicht“, fleht die gequälte Kreatur.
„Sie müssen!“
„Könnten Sie mir vielleicht helfen?“
„Nein, SIE müssen das üben. Sie haben kräftige Muskeln. Vom Joggen?“
„Nein, vielleicht vom Fahrradfahren, aber das reicht nicht. Helfen Sie mir bitte.“
„Grummel, grummel.“
Die Beine sind am Boden. Ich richte mich vorsichtig auf – und stehe zum ersten Mal mit dem Implantat im Bein aufrecht – für vielleicht fünf Sekunden.
„Sehen Sie: es geht doch. Das reicht für heute. Sie können sich wieder hinlegen.“
„Alte Hexe“, denke ich.
Fortsetzung folgt