Von Nürnberg nach Den Haag und weiter
Die Isolation, die das Corona-Virus von uns verlangt, gibt uns auf der anderen Seite mehr Zeit zum Lesen. Denn viel anderes ist ja leider nicht möglich. Die im Interview mit Nadia Khomami entstandene Autobiographie des nun 100jährigen Benjamin Ferencz ist an einem langen Abend durchgelesen – und bleibt doch viel länger in Kopf und Seele. Ein kleingewachsener Junge, den seine Eltern aus Transsylvanien (damals in Ungarn, gibt es heute nur noch als Landschaft) in die New Yorker Bronx brachten, ist ihr Held. In der von Millionen geteilten Hoffnung, dort in den USA ein besseres Leben begründen zu können,schiffte sich die Familie mit quasi nichts gen Westen ein. So beginnt dies spektakuläre Leben. Mit Glück und Fleiß schafft es der kleine Bejamin, sich die neue Sprache zügig anzueigenen, auf eine gute Schule zu kommen und mit Hilfe von Emphehlungen schliesslich in Harvard Jura zu studieren. Im zweiten Weltkrieg sichert er als Soldat der US Army Beweise, um die Untaten von SS und Wehrmacht später gerichtlich aufarbeiten zu können. Als Staatsanwalt prägt er die Nürnberger Prozesse in ganz entscheidendem Maße mit.
Dem Recht verpflichtet, stellt er seine Energie und sein Ansehen später in den Dienst der Idee eines transnationalen Gerichtshofs. Dieser soll auf der Erfahrungsbasis der Nürnberger Prozesse allen Diktatoren, Menschenverächtern und Tyrannen ein billiges Davonkommen verunmöglichen. Der internationale Gerichtshof in Den Haag wurde zwar bereits 1945 gegründet, war aber bis in die 90er Jahre hinein ein zahnloser Tiger, dessen Arbeit rein moralischer Natur blieb. Bis Benjamin Ferencz sich auch hier mit seiner eisernen Disziplin und seinem Willen durchsetzte. Dazwischen liegt ein unglaubliches Leben. Mehr verrate ich nicht. Oder doch: den Sportadepten sei gesagt, dass Ferencz seit einigen Jahren jeden Morgen nur noch 75 Liegestütze macht und nicht mehr die 100, die er über Jahrzehnte zuvor ableistete. Aber das ist wirklich nur eine Randnotiz, denn es handelt sich wahrlich nicht um einen konventionellen „Altersratgeber“. ich wünsche tiefe Einsichten bei der Lektüre!