Innerhalb einer Woche sind mir zwei Meldungen von Studien zum Problemfeld Alkoholkonsum in den Blick gekommen. Da es nicht um eine ganz spezielle Meldung geht, sondern um die Anmaßung, mit der die allermeisten Ratgeber ihre Nutzer zu Abhängigen, ja zu Opfern machen, erspare ich mir hier die Quellenangabe. Schon früher wusste man: „Glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast!“ Dennoch ist es verlockend, die zentralen Botschaften von Studien – zumal universitären – zu glauben. Die Mittel von Logik und Nachprüfbarkeit sind natürlich dem Aberglauben und der nächtlichen Krötenschau oder Ähnlichem überlegen, aber dennoch haben eben auch Statistiken ihre Tücken. Man kann durch das Werlassen von Rahmenbedingungen Ergebnisse in einem helleren (eindeutigeren) Licht erscheinen lassen als sie das eigentlich verdient haben. So las ich, dass bereits 1 Gramm Alkoholzufuhr pro Tag zu einer Alterung des menschlchen Gehirns von exakt 11 Minuten führt. Man mag sich natürlich fragen, wie man bei noch arbeitenden Gehirnen diese 11 Minuten nachweisen kann. Egal, ein paar Tage später kamen erfreulichere Neuigkeiten: nicht übertriebener Alkoholkonsum führt im Alter zu besseren Reaktionszeiten unseres Gehirns als ihn – statistisch – Nicht-Alkohol-Trinkende erreichen. Wenn es um eine mediengerechte Botschaft dieser Studie ginge, könnte sie wohl so lauten: „Leichter Alkoholkonsum schützt vor Alzheimer“. Hoch die Tassen? Nein, angesichts von hunderten und aberhunderten von Ratgebern und Studien könnte man sich fragen, warum man nun gerade derjenigen, die einem heute via TV oder Zeitung vor Augen kommt, glauben sollte. Und damit wären wir bei Kant. „Wage Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Diese Forderung gilt in Zeiten der medial vermittelten Überfülle von Informationen genauso wie zu Zeiten, da man nur eine oder zwei Quellen zur Verfügung hatte. Die Verantwortung, sich als Individuum zu sehen und Entscheidungen nach wohlabgewogenen Dialogen mit den inneren Stimmen (in unserem Beispiel: der Weinliebhaber, der Altersängstliche, der Vorsichtige, der soziale Trinker, der Selbstgewisse, etc.) zu treffen, ist unser zentrales Recht – und vielleicht sogar Pflicht – als selbstbestimmte Geschöpfe.
Schon als Kind machte mich der medial geführte Kampf zwischen Butter- und Margarineindustrie kirre: Jede Seite behauptete, ihre Produkte wären der Garant für Gesundheit und Wohlbefinden. Meine Eltern kamen zu dem weisen, ja salomonischen Schluß, dass morgens Butter und abends Margarine aufs Brot kam. Vielleicht ist dieser Weg, die Mitte zwischen den verfeindeten und mit Akribie argumentierenden Positionen zu suchen, noch immer der beste. Jürgen Habermas hat einmal formuliert: Wahrheit entsteht im Dialog. Vielleicht sind wir ganz gut beraten, wenn wir zu jeder Studie und zu jedem Ratgeber zunächst eine konträre Meinung, ein anders argumentierendes Studienpapier suchen, bevor wir uns entscheiden. Kants Definition der Aufklärung, „Der Auszug aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“, bleibt für uns alle eine lichte Forderung – auch im Umgang mit Ratgebern.