15.02.2012 | Allgemein, Arbeitswelt, Gesellschaft, Kultur, Staat
Ein thematischer Bruch: es geht heute nicht um interessante Seiten des Alterns. Es geht um Anstand, Würde und die Frage, was wir Bürger dem Amt und dem Amtsinhaber des Bundespräsidenten abverlangen wollen.
Ab Gustav Heinemann habe ich alle Präsidenten im Fernsehen erlebt. Mancher kam mir komisch vor, einige waren mir sympathischer als andere. Aber jeder von ihnen schien von der Würde des Amtes aufgerichtet und mein kleines Ich weit zu überragen. Ich spürte mehr als nur einen Altersabstand. Richard von Weizsäcker brachte mich manches Mal sogar zu moralischen Selbstbefragungen. Auch wenn ich häufiger ihre Ansichten nicht teilte, fiel es mir leicht, allen Bundespräsidenten Respekt zu zollen. Die medial vermittelten Persönlichkeiten im Amt schienen mir dies zu verdienen. Mit Horst Köhlers beleidigtem Rücktritt erstarb mein Respekt.
Christian Wulff war von Anfang an eine B-Besetzung. Ich vermute, dass auch das Herz der Kanzlerin für Joachim Gauck schlug. Aber das Machtdomino mit den CDU-Granden gebot die Aufstellung von Christian Wulff.
Auf unwürdige Startbedingungen folgte eine enttäuschende Wahl und ein enttäuschender Start: es war keine Elite, nicht einmal Parteielite, was da ins Schloss Bellevue zog. Es war Durchschnitt. Einer von uns. Einer, der auch mal auf dem Behindertenparkplatz hält, um den Lotterieschein abzugeben. Einer, der sein Ehrenwort mit gekreuzten Fingern hinter dem Rücken abgibt, einer, der seine Putzfrau nicht angemeldet hat, einer, der altersbedingt seine erste Ehe entsorgt. Einer wie wir. Im weiteren zeigte sich, dass er den meisten von uns im Filettieren der Wahrheit, im Nutzen von Schnäppchenangebote, im Verwechseln von Freundschaft und Netzwerk weit voraus ist.
Brauchen wir so einen Bundespräsidenten? Wenn wir mit Brecht feststellen, dass wir ein glückliches Volk sind, das keinen moralischen Führer braucht, dann sollten wir den moralischen Orientierungssimulanten Wulff samt Amt schnellstmöglich aufgeben. Wenn wir aber meinen, dass es gut wäre, zwischen den Verwerfungen der Globalisierung, den Fieberkrämpfen von Euroland und dem Innovationsdruck von Forschung und Demographie von Zeit zu Zeit ein kompetentes, unabhängiges und wohl bedachtes Wort zu hören, dann sollten wir Bürger der präsidiale Fehlbesetzung Wulff ein Ende machen. Schon der Chor in Sophokles´ Antigone wusste:
Ehrt des Landes Gesetz er und der Götter
Beschworenes Recht –
Hoch steht dann seine Stadt. Stadtlos ist er,
der verwegen das Schändliche tut.
Christian Wulff hält sich an das Schändliche. Helfen wir ihm die nötigen Konsequenzen zu ziehen solange wir noch an die Bedeutung seines Amtes zu glauben vermögen!
18.08.2011 | Arbeitswelt, Demographie, Europa, Gesellschaft, Politik, Staat
Nein, nein, es geht nicht um Donald Rumsfelds „altes Europa“ von 2003. Die Europäische Union hat mittlerweile selbst erkannt, dass sie immer älter aussieht. Deutschlands demopraphische Probleme zeigen sich in abgeschwächter Form auch in anderen Ländern der Union. Ab dem kommenden Jahr wird die Bevölkerung Europas im erwerbstätgen Alter abnehmen. Jährlich werden zwei Millionen Menschen die Schwelle von 60 Jahre überschreiten.

Um die lokalen Verantwortungsträger darauf vorzubereiten, hat die EU das kommende Jahr 2012 zum „Europäischen Jahr für aktives Altern“ erklärt. Im Zuge einer Medienkampagne soll alle Welt dafür sensibilisiert werden, dass man etwas für gesünderes Altern tun kann. Ein längerer Verbleib im Erwerbsleben steht genau so auf der Agenda wie die Förderung ehrenamtlichen Engagements.
In Deutschland wird angesichts des Fachkräftemangels mit der Kampagne wohl nur an sperrangelweit geöffneten Türen gerüttelt. Hingegen dürfte es spannend werden zu beobachten, wie die Bevölkerung in Ländern mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 20% oder gar 40% auf derartige Sensibilisierungen reagiert. Ein „clash of generations“ scheint mir durchaus denkbar. Frankreich weist momentan eine Rate von 22,8 % Jugendarbeitslosigkeit auf, Italien 27,7 % und Spanien führt mit unglückseligen 45,7% die Liste an. Näheres kann man hier nachlesen.
27.05.2011 | Allgemein, Ernährung, Gesellschaft, Konsum, Staat, Wohlbefinden
Neben dem Konzept der „wachsenden Metropole“ hat sich die Hansestadt und diesjährige „Umwelthauptstadt Europas“ der Seiorenfreundlichkeit verschrieben. Dabei ist die Altersstruktur der Stadt im Verhältnis noch kommod: der Anteil der BürgerInnen über 60 liegt bei unter 25%. Das sieht in anderen Städten und Gemeinden schon deutlich anders aus. Und den Prognosen der Europäischen Statistikbehörde wird sich dies aufgrund der Wachstumgsprognose für die Region kaum ändern.
Alt, dynamisch und attraktiv – nicht nur diese Traditionssegler beim Hamburger Hafengeburtstag 2011
Dem Konzept sollte eine saubere Analyse vorangehen. Dies hat auch der Hamburger Senat so gesehen und die Studie „Die Gesundheit älterer Menschen in Hamburg“ vorgelegt. Gewiss: eine lokale Befragung – noch dazu in einer der wohlhabensten Gemeinwesen Deutschlands. Aber auch wenn keine Repräsentativität gegeben ist, werden zwei Dinge deutlich: „Alter“ ist heute ein Etikett unter dem sich mehr Individualität und jeweilige Einzigartigkeit entdecken lässt als unter seinem Pendant „Jugend“. Die entwickelte Persönlichkeit braucht nicht mehr auf die Ansichten und Verhaltensnormen ihrer Peergroup Rücksicht zu nehmen. Zum anderen geht es den Alten gut! Natürlich nicht allen, den Armen und den sehr alten Frauen am wenigsten. Aber es geht ihnen in einem emphatischen Sinne gut, der der kollektiven Assoziation von „Alter“ eher entgegengesetzt ist: Mangel und Defizit an allem was einem früher reich gegeben war – genau diese Vorstellung haben die Hamburger Alten nicht. Und dass die Bilder im Kopf Wirklichkeit erzeugen bzw. Ziel und Richtung des eigenen Verhaltens nachhaltig beeinflussen, ist mittlerweile auch bei Alten oder Altersanfängern nachgewiesen. Auch hierzu nimmt der kluge Einleitungstext in der Hamburger Studie Stellung. Drei Fakten seien noch genannt:
78 Prozent der befragten 60-90-Jährigen bewerten ihre Lebensqualität mit sehr gut oder gut;
73 Prozent meinen, dass sie viel oder sehr viel für die eigene Gesundheit tun können.
Frauen kümmern sich (zumindest dem Selbstbild nach) erheblich mehr als Männer um gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung. Kein Wunder also, wenn sie älter als die Männer sterben.
Die Studie zeigt, wo das Individuum und wo der Staat, die Gemeinschaft Handlungsfelder haben, die sich positiv auf den weiteren Lebensverlauf auswirken. Auch das mach sie interessant!
20.12.2010 | Arbeitswelt, Bildung, Demographie, Gesellschaft, Politik, Staat
Zu hoch gegriffen, der Titel? Wenn man sich die Fakten durch den Kopf gehen lässt, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in seinem aktuellen Regional Titel 3/2010 „Herausforderungen des demografischen Wandels für den Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt“ zur Verfügung stellt, denkt man das nicht mehr. Kein Bundesland hat mit Alterung und schwindender Bevölkerung so zu kämpfen wie Sachsen-Anhalt. Alles, was hier unter dem jetzt schon schwer lastenden Druck der Demografie und der nicht ausreichenden Fachqualifizierung kreativ zum Besseren gewendet werden wird, kann in wenigen Jahren auch den Bundesländern eine günstige Lehre sein, die sich jetzt noch bräsig im Bewusstsein bald erreichter Vollbeschäftigung dünken. Das Land hat nach einem Bevölkerungsschwund von 19,7 % in den Jahren 1990 bis 2010 nun bis zum Jahr 2025 einen weiteren Rückgang um 16,7 % oder 400.000 Bürger zu erwarten. Das Durchschnittsalter wird auf 54 Jahre steigen. Mehr harte Fakten lassen sich dem o.e. IAB-Bericht entnehmen.

Der Staat muss also im Bereich Ausbildung und Qualifizierung mit Höchstleistungen aufwarten, die Arbeitgeber werden das Thema Attraktivität (Familienfreundlichkeit, individuelle Arbeitszeiten) wesentlich kreativer bearbeiten müssen als nur mit einem simplen „Plus-X-Faktor“ zu den Tarifgehältern. Vielleicht lohnt vor diesem Hintergrund hin und wieder ein Blick in die Mitteldeutsche Zeitung. Hier sollte Neues aus Deutschlands und vielleicht auch Europas am schnellsten alternder Region mit dem existentiellen Zwang zu kreativen Lösungen zu lesen sein.
09.11.2010 | Gesellschaft, Politik, Staat, Wohlbefinden, Wohnen
Anlässlich eines Vortrags hatte ich die Chance, die Ansbacher Gesundheitstage kennen zu lernen. Blickt man in die Zeitung, hört man Radio, so gibt es eine unisono Information: die Kassen der Kommunen sind klamm, ganz klamm. Aber mit geschickter Einbindung von Privatmitteln (Hier wohl Sanitätshäuser und Krankenkassen) schafft es die fränkische Stadt ihre Bürger mit strategischen Überlegungen zum Älterwerden zu versorgen. Die örtliche Volkshochschule hat sich mit dem Gesundheitsamt zusammengetan und wohl auch noch Landesmittel frei geschaufelt. Das Ergebnis für die Bürger lässt sich jedenfalls sehen. Ich gestehe gern, beeindruckt zu sein.
15.09.2010 | Arbeitswelt, Gesellschaft, Rente, Staat
Im Sommer letzten Jahres fällte das Hamburger Arbeitsgericht ein Urteil, das vielleicht in die Geschichte eingeht: Ein Angestellter der Hamburger Hochbahn AG hatte gegen seine Zwangsverrentung mit 65 Jahren geklagt. Er hatte Spaß an der Arbeit und wollte einfach nicht so mir nichts dir nichts damit aufhören müssen. Aber der Arbeitsvertrag sah die automatische Vertragsbeendigung mit Vollendung des 65. Lebensjahres vor. Das Gericht gab dem Kläger unter Hinweis auf die implizite Altersdiskriminierung Recht und verklagte die Hochbahn auf Wiedereinstellung. Endgültig wird diese Causa wohl erst mit einem Entscheid des Europäischen Gerichtshofes entschieden. Aber die Zwangsverrentung wird kaum rehabilitiert werden können. Sie gehört zu einer Zeit, in der die Menschen am Ende ihres Arbeitslebens erschöpft, ausgelaugt und – ja, auch unproduktiv wurden. Aber für wen gilt das heute noch? Für wen erst wird das in 10 oder 20 Jahren noch gelten? Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser Mann seine Arbeit, die ihm eben auch Spaß bereitet, wieder aufnehmen dürfte. Man muss nicht Großschauspieler, Maler oder Dirigent sein, um sich mit 65 Jahren nicht nach dem Rentenstillstand zu sehnen. Näheres zum Fall kann man u.a. in der aktuellen SPIEGEL-Ausgabe (Nr. 37) auf Seite 84 nachlesen.