„Alt sind nur die anderen!“

Unter diesem generationstypischen Titel ist im aktuellen SPIEGEL (Nr. 35) ab Seite 106 ein wunderbares Doppelinterview mit dem Altersforscher Hartmut Radebold und seiner Frau Hildegard veröffentlicht. Da es sich einer kurzen Zusammenstellung entzieht, kann ich nur für das selbst Lesen werben! Einen kleinen Eindruck bekommt man auch in der digitalen Ausgabe.

Das Altern stoppen?

Unwillkürlich,  ja automatisch bewegt man sich in eine Grauzone hinein, sobald man darüber nachdenkt, ob und wie man den eigenen Alterungsprozess verlangsamen, anhalten oder gar zurückdrehen kann. Bewegung, Ernährung, innere Einstellung: an den drei Hebeln kann man guten Gewissens zum eigenen Vorteil zu drehen versuchen. Und wie sieht es mit medizinischer Unterstützung aus? Hier ein wenig Botox in die Lippen, dort ein wenig Fett absaugen, hier eine Hormonkur: wo liegen die Grenzen? Jüngst hat eine Untersuchung ergeben, dass die so genannten Anti-Faltencremes allesamt – egal ob für drei Euronen beim Discounter oder für 300 in Paris erstanden wurden –  ihre Versprechen nicht halten können. Schade, aber es gibt ja immer mehr Mediziner, die es den Wunderheilern, Quacksalbern, Demiurgen oder Allchemisten früherer Zeiten nachmachen und dem Alter nachhaltige Schnippchen schlagen bzw. spritzen, schneiden oder injizieren wollen. Ein Beispiel? Bitte sehr, klicken Sie mal hier. Diese Angebote nehmen zu. Der nachfragende Markt wahrscheinlich auch. Aber der Tod ist uns gewiß. Vielleicht lernen wir ihn leichter zu nehmen, wenn wir selbstbewusst sein Kommen erwarten und nicht wegzulaufen versuchen. Er hot uns ja doch ein. Benjamin Button bleibt eine Hollywoodfabel. Am Ende hat es bei allem medizinischen Fortschritt wohl vor allem mit dem je eigenen Verständnis von Würde zu tun, was wir medizinisch mit uns machen lassen.

Den Tod mit denken

Oder vielleicht besser: nicht die Todesgewissheit leugnen! Gerade kurz nach einer Trauerfeier eines guten Bekannten geht mir durch den Kopf, dass es bei der Gestaltung – „Bewältigung“ klingt mir zu affektiert – des Alters der Einbezug des Todes nicht fehlen darf. Er kommt in jedem Fall. Oft früher als erwartet. Auch wenn man – wie im heutigen Fall – schlank, bis vor kurzem gesund, Vegetarier und mit einer intakten Familie beschenkt ist, kann er, z.B. im Gewand des Bauchspeicheldrüsenkrebses, an die Tür klopfen.
Carpe diem – fang den Tag! Und mach das Dir gegeben Beste daraus! Und Gott dabei um Hilfe zu bitten, kann gewiß nicht schaden. Ohnehin: unsere kulturell errichtete Mauer des Schweigens rund um das Thema zeigt uns doch, wie weit uns andere Kulturen voraus sind, die Leben und Tod als Bestandteile der menschlichen Existenz anerkennen und dementsprechend zu leben verstehen.

Den Tod mitdenken

Der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Hubert Markl ruft uns in seinem Beitrag im aktuellen Merkur in Erinnerung, dass der Tod zum Leben dazu gehört. Und dass unsere aktuelle Verdrängungskultur ihm ausweicht – zu unser aller Nachteil. Denn der Tod kommt trotzdem und dann unangenehm überraschend. Dies ist ein Nachteil, der nicht der westlichen Welt per se anhängt und ihren Vorsprung gegenüber wirtschaftlich schwächeren Kulturen in dieser Frage tatsächlich in Frage stellt. Wir haben es in den letzten Jahrzehnten geschaftt, das Sterben aus dem Leben wegzudenken. Man blättere durch die großen Roman des 19. Jahrhinderts: immer wieder versammeln sich die Sippen – oft aus ganz anderen europäischen Ländern kommend – am Sterbebett der oder des Altvorderen. Einübung ins Sterbegeschehen für die nachrückenden Generationen. Aber auch: oft opulent inszeniertes Abschiednehmen als integraler Bestandteil des Lebens als solchem. Wir haben mit unserer verdrucksten Wegschaukultur noch eine ganze Menge wieder neu zu lernen. Dabei konnten wir Europäer es doch schon so viel besser… Mit Markl gesprochen „Erlernen des Lebens, Erziehung zum Leben kann daher immer nur zugleich bedeuten, das sichere Ende mitzudenken, zu bejahen und ins Leben einzubeziehen.“(Merkur 696, S. 317)

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